Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht ein weitreichendes Urteil zur gewerbsmäßigen Suizidassistenz gefällt. Um die Notwendigkeiten eines breiten gesellschaftlichen Dialogs über die Konsequenzen für Individuum und Gesellschaft ging es auf dem 6. Saarländische Ethiktag. Veranstaltet wird er alle zwei Jahre durch das Ethiknetz Saar, einer Kooperation der klinischen Ethikkomitees im Saarland.
Die Gastreferentin, Moraltheologin Prof. Dr. Monika Bobbert von der Universität Münster, ist wie ihr evangelischer Kollege, Prof. Dr. Peter Dabrock, davon überzeugt, dass das Urteil ein radikaler Bruch mit der bewährten Rechtskultur ist, die den Schutz des Lebens gleichermaßen bedenkt wie die Achtung der Selbstbestimmung und die Autonomie des Menschen lebensfreundlich auslegt. Die Spannung zwischen dem Grundrecht auf Leben und der Umsetzung von Persönlichkeitsrechten dürfe nicht zu Lasten eines der beiden Grundrechte aufgelöst werden. Frau Bobbert hält daher eine breite gesellschaftliche Diskussion des Urteils, seiner Begründung und seiner Folgen für unabdingbar.
Umfragen zufolge wird die Liberalisierung der Sterbehilfe von einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung unterstützt. Argumentiert wird in der öffentlichen Debatte jedoch meist mit Extremfällen menschlichen Leids, für die die Suizidassistenz als Akt der Barmherzigkeit angesehen wird. Daneben gibt es aber auch eine andere Seite, auf die Frau Bobbert die Teilnehmer*innen hingewiesen hat. So ist aus der Suizidforschung bekannt, dass mehr als 90 Prozent der Suizide im Zusammenhang mit einer psychischen/psychiatrischen Krankheit oder einer akuten Lebenskrise stehen. Daraus ergeben sich konkrete Anfragen an die zentrale Voraussetzung, Suizidassistenz in Anspruch nehmen zu können, die Freiverantwortlichkeit. Es stellt sich die Frage, wie autonom der menschliche Wille tatsächlich ist, der unter dem Einfluss von Trauer, Beziehungskonflikten oder einer sozialen Notlage steht.
Im April 2021 wurden im Deutschen Bundestag mehrere Gesetzesentwürfe zur Suizidassistenz mit unterschiedlichen Prüfkriterien zur Freiverantwortlichkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches diskutiert. Frau Bobbert hat auf der Grundlage dieser Vorlagen ethische Fragen aufgeworfen: Wie können die Prüfkriterien sichergestellt werden? Welche Profession hat dazu die Kompetenz? Wieviel Unsicherheit bezüglich der Freiverantwortlichkeit ist tolerabel? Wie schützen wir die vulnerablen Personengruppen, deren Freiverantwortlichkeit nicht eindeutig zu ermitteln ist? Sie forderte dazu auf, dies zu klären, bevor ein Gesetz das Spannungsfeld zwischen Lebensschutz und Freiheitsrechten zugunsten letzteren festschreibt. Insbesondere der Ausschluss einer psychischen Erkrankung, die Abklärung von Risikofaktoren sowie professionelle Unterstützungsangebote müssten durch eine qualifizierte Beratung sichergestellt werden. Angesichts des bereits bestehenden Mangels an Psychiater*innen und Psychotherapieplätzen sei allerdings fraglich, wie sich ein neues Gesetz mit den gebotenen Mindestanforderungen überhaupt umsetzen ließe.
Der 6. Saarländische Ethiktag war ein Plädoyer für einen vernunftgeleiteten diskursiven Prozess, der den Suizidwunsch eines Menschen, in welcher Situation auch immer, als Hilferuf versteht. Nicht schnelle Lösungsansätze sind gefragt, sondern Verfahrensregelungen, durch die der Lebensschutz nicht ausgehöhlt wird.
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